Wallfahrtskirche Mariahilf Neumarkt
Am Mariahilfberg 1
92318 Neumarkt
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Die weite Bucht von Neumarkt in der Oberpfalz wird durch das Stadtbild mit dem hochragenden Turm der Johanneskirche, die Burgruine Wolfstein und die Wallfahrtskirche Mariahilf geprägt. Die religiös und politisch bestimmenden Kräfte haben Schwerpunkte im Panorama der Landschaft gesetzt. Die Wallfahrtskirche Mariahilf zählt zu den fünf Marienheiligtümern, die in der westlichen Oberpfalz in dichter zeitlicher und räumlicher Folge als barocke Kirchenbauten entstanden:
Die Neumarkter Marienkirche steht entstehungsgeschichtlich an vorletzter Stella. Ihre Bauausführung wurde. Im Gegensatz zu den mächtigen landesherrlichen Bauherren, ebenso wie in Amberg allein von den Bürgern einer Stadt getragen. Sie ist in ihrem geistigen und künstlerischen Programm das Werk mehrfacher religiöser Strömungen, die unter Verzicht auf große Dimensionen ein Kleinod von innerer Größe schufen.
P. Gabriel von Braunau, von 1674 bis 1679 Guardian des Kapuzinerkonventes in Neumarkt, sah in einem Traumgesicht drei Kreuze auf dem Weinoder Risselberg östlich der Stadt. Er betrachtete diese Vision als Aufforderung, eine Kreuzigungsgruppe dort zu errichten. 1678 waren nachweislich die Kreuze dort aufgerichtet. Sie trugen, wie sich aus einem Votivbild von 1742 ergibt, die Körper der Gekreuzigten und standen auf einer Terrasse unterhalb des Berggipfels. Gleichzeitig oder bald danach, spätestens 1684, wurde auch eine Kreuzweganlage, die auf den Berg führt, gebaut. Neumarkt erhielt so seinen Kalvarienberg.
Die Kapuziner, die seit 1627 in der Stadt eine lebhafte Seelsorgetätigkeit entfalteten, verbanden damit eine tiefere Deutung: Jede christliche Stadt soll dem von Kaiser Konstantin neu erbauten christlichen Jerusalem gleichen. Uber den Heiligtümern innerhalb der Stadtmauern sollten wie beim biblischen Jerusalem auf einem nahen Hügel Kreuze und eine Nachbildung des Herrengrabes an den Tod und die Auferstehung Jesu erinnern. Auf dem Kreuzweg trägt man das persönliche und allgemeine Leid, einsam oder gemeinsam, den Stationen entlang, betend den Berg hinauf. Viele Pilger aus dem Neumarkter Land verstanden diese Deutung und verwirklichten sie. Auch eine Grabkapelle als Nachbildung der Grabkammer Jesu durfte nicht fehlen.
1684 baten Bürger der Stadt die Bischöfliche Behörde in Eichstätt um die Erlaubnis zur Errichtung einer solchen. Noch im gleichen Jahr wurde der schlichte Bau ausgeführt. P. Adrian, der Provinzial der Kapuziner, hatte dazu einen Plan vom damaligen Heiligen Grab in Jerusalem übersandt. Die heute in Neumarkt noch erhaltene Anlage gibt, in verkleinertem Ausmaß, die seit 1555 in Jerusalem bestehende Gestalt des Grabmonumentes wieder: eine Rundanlage im Fünfeck mit Vorraum. Die eigentliche Grabkapelle wird außen von zehn Pilastern und rundbögigen Blendarkaden gegliedert. Sie trägt einen barocken Dachreiter zur Erinnerung an das Säulenziborium über dem Grab Jesu in Jerusalem. Die Neumarkter Kapelle gehört unter den drei Haupttypen der abendländischen Nachbildungen des Heiligen Grabes, nämlich des byzantinischen aus der Zeit Konstantins, des romanischen aus der Kreuzfahrerzeit und des franziskanisch-gotischen (seit 1555) dem letztgenannten an.
Weil das Grab Christi in Jerusalem für die meisten Gläubigen ein unerreichbares Ziel ihrer Sehnsucht blieb, wollte man auf dem heimatlichen Boden zum Gekreuzigten in einem Nachbild seiner Grabkammer so nahe als möglich gelangen. So realistisch wird der Besucher in Neumarkt in die Wirklichkeit des Grabes Jesu versetzt, dass er, ähnlich wie in Jerusalem, durch einen sehr schmalen Zugang von nur 98 cm Höhe und 53 cm Breite sich zwängen muss, um dann allein dem in der Grabnische liegenden Erlöser in der Gestalt einer edlen, lebensgroßen Holzplastik zu begegnen. Die Anschaulichkeit kann kaum eindringlicher sein.
1689 errichtete man neben der Steinkapelle noch vier weitere Holzkapellen. Eine fünfte trat später hinzu. Diese Holzbauten erweitern mit ihren einfachen Figuren das Leidensthema durch die Darstellung der Todesangst Jesu, der Engelströstung, der Verleugnung des Petrus, der betenden Maria Magdalena und der Frauen mit Salböl, letztere auf einem Ölbild.
Bei der Auffächerung der Entstehungsgeschichte der Wallfahrt tritt eine neue religiöse Idee hinzu: Der Kalvarienberg wird nunmehr zu einem Einsiedlerberg, zum Berg Karmel durch die Niederlassung von Eremiten. 1687 erteilte auf Ersuchen des Rates der Stadt die Bischöfliche Behörde in Eichstätt die Zustimmung zur Niederlassung des Eremiten Frater Konstantin Plank. Man erbaute ihm sogleich auf der Terrasse unterhalb der Kreuze eine Klause. Wieder wurde auf diese Weise eine Beziehung zum Lande Jesu geknüpft: Auf dem vordersten Ausläufer des biblischen Karmel, einem bewaldeten Bergrücken an der Mittelmeerküste Israels, wo im Alten Testament die Propheten Elija und Elischa wirkten, lebten seit der Kreuzfahrerzeit abendländische Einsiedler. Von dort nahm der Karmeliterorden seinen Ausgang, als die Eremiten sich um das Jahr 1200 zusammenschlossen und sich „Brüder Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel“ nannten.
Der Orden übernahm in seine Liturgie den Ritus der Grabeskirche von Jerusalem und wusste sich außerdem der besonderen Verehrung Mariens verpflichtet. Acht Einsiedler lebten bis zu ihrer Vertreibung durch die Säkularisation (1804) auf dem Neumarkter „Karmel“, ohne dem Orden offiziel anzugehören. Aber der Karmelgedanke blieb lebendig, nachdem schon mit Erlaubnis des Karmelitenprovinzials eine Skapulierbruderschaft in Neumarkt errichtet und 1748 erneuert worden war. Er gelangte voll zur Verwirklichung, als 1906 eine Niederlassung der Karmeliten (des Teresianischen Reformzweiges) genehmigt und der Klosterneubau 1907/08 in der südlichen Verlängerungsachse der Wallfahrtskirche ausgeführt wurde. Die Einweihung fand am 19. November 1908 statt.
Der zur Talseite hin sehr wuchtig wirkende Bau ist verhältnismäßig schmal und hat nur eine Zimmerflucht, bedingt durch die Lage am Steilhang des Berges. Der Konvent war klein und bestand meist aus drei Patres und zwei bis fünf Brüdern. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Klostergebäude beschlagnahmt und in eine Schule für Hamburger Kinder umgewandelt. Nach der Rückgabe an die Karmeliten errichteten diese darin für einige Jahre ein Internat für Buben. Das Vorhaben der Ordensleitung, den Konvent Anfang der 60er Jahre aufzuheben, wurde wieder fallengelassen. Seit 1984 beherbergt das Kloster das Noviziat der deutschen Ordensprovinz des Teresianischen Karmel.
Von den Eremiten führt eine direkte Linie zur Entfaltung des dritten religiösen Programmes auf diesem Berge, zur Marienverehrung. Schon 1687 ließ der Rat der Stadt neben der Wohnung des Eremiten eine Marienkapelle aus Holz errichten. Man stellte darin eine Kopie des berühmten Marienbildes von Lucas Cranach zur Verehrung auf. Der bayerische Kurfürst Max Emanuel (1679-1726) hatte es persönlich dem Kapuzinerprovinzial und dieser seinen Ordensbrüdern in Neumarkt übergeben. Mit Nachbildungen des Originals, das zwischen 1500 und 1510 entstand, verbanden viele Gläubige schon seit dem 16 Jahrhundert in Süddeutschland eine besondere Marienverehrung und den Flehruf aus der lauretanischen Litanei: „Hilfe der Christen, bitte für uns!“ Das Cranach-Bild wurde zum „Mariahilf-Bild" in ungezählten Kopien, zum Zielpunkt der Beter in den Jahrhunderten der abendländischen Türkenbedrohung.
Drei Zentren schufen drei Bildtypen: die Mariahilfkirche über Passau ab 1624, die Jakobskirche in Innsbruck mit dem Originalgemälde ab 1650 und die Peterskirche in München ab 1653. Zur Münchener Mariahilfbruderschaft mit rund 25.000 Mitgliedern aus ganz Bayern zählten auch Neumarkter Bürger, wie sich aus den 40 Banden der Mitgliederverzeichnisse ergibt.
Das Neumarkter Gnadenbild besitzt unmittelbare Verwandtschaft mit dem Cranach-Original. Noch heute lautet die in Neumarkt übliche Anrufung: „Maria, immer hilf!“ Die Pilgerscharen, die zur Holzkapelle kamen, wuchsen, ebenso die Opfergaben. Deshalb fasste der Rat der Stadt den Entschluss, eine ansehnliche Marienkirche in Stein auf der oberen Terrasse neben der Kreuzigungsgruppe zu errichten. Die Bürgerschaft verpflichtete sich während einer Seuche (der genaue Zeitpunkt lässt sich bei der Vielzahl dieser Heimsuchungen nicht ermitteln) vor dem Jahre 1700 durch ein Gelübde hierzu. 1706 lehnte die Bischöfliche Behörde in Eichstätt die Baugenehmigung ab, da die Mittel noch unzureichend seien. Der Rat hielt an seinem Vorhaben fest. Die Beharrlichkeit, mit welcher die Bürgerschaft und Dekan Johann Nieberlein sowie der Kapuzinerkonvent trotz der wachsenden Schwierigkeiten während des spanischen Erbfolgekrieges (1701 1714) zusammenwirkten, verdient Bewunderung.